32. SONNTAG IM JAHRESKREIS

11. November 2012

Evangelium nach Markus (12,41-44)

Die Menschenmenge hörte Jesus gerne zu. Als er zu ihnen redete, mwarnte er sie: »Nehmt euch in Acht vor den Gesetzeslehrern! Sie zeigen sich gern in ihren Talaren und lassen sich auf der Straße respektvoll grüßen. Beim Gottesdienst sitzen sie in der vordersten Reihe, und bei Festmählern nehmen sie die Ehrenplätze ein. Sie sprechen lange Gebete, um einen guten Eindruck zu machen; in Wahrheit aber sind sie Betrüger, die schutzlose Witwen um ihren Besitz bringen. Sie werden einmal besonders streng bestraft werden.«

Jesus setzte sich im Tempel in der Nähe des Schatzhauses hin und beobachtete, wie die Besucher des Tempels Geld in die Opferkästen warfen. Viele wohlhabende Leute gaben großzügig. Dann kam eine arme Witwe und steckte zwei kleine Kupfermünzen hinein – zusammen so viel wie ein Groschen. Da rief Jesus seine Jünger zu sich heran und sagte zu ihnen: »Ich versichere euch: Diese arme Witwe hat mehr gegeben als alle anderen. Die haben alle nur etwas von ihrem Überfluss abgegeben. Sie aber hat alles hergegeben, was sie selbst dringend zum Leben gebraucht hätte.«

Gedanken zum Evangelium

Sie können sich vielleicht noch erinnern: Im Evangelium vom letzten Sonntag hat Jesus den Kern unseres Christseins zusammengefasst mit den Worten: „Gott lieben mit meinem ganzen Wesen und meinen Mitmenschen wie mich selbst.“ Ob mein Leben gelingt oder nicht, hängt davon ab. Es ist das alles Entscheidende. „Frömmigkeit und Gerechtigkeit, Gottes‑ und Nächstenliebe, gehören zusammen. Man kann nicht fromm sein, ohne gerecht zu sein, und man kann Gott nicht lieben, ohne seinen Nächsten zu lieben.“

Gott und den Nächsten lieben, das geht nur, wenn wir mit Hingabe, mit ganzem Herzen dabei sind. Will man darüber nachdenken, was der Glaube einem persönlich bedeutet, dann braucht man den Verstand. Aber man soll den Glauben auch erleben. Dazu muss man auf sein Herz hören. Und was man dann mit Kopf und Herz glaubt, muss man durch Taten ausdrücken. Kopf, Herz und Tat gehören zusammen.

Im heutigen Evangelium macht Jesus deutlich, wie ernst es ihm dabei ist. Unerhört heftig kritisiert er Menschen, bei denen das Herz, die Liebe, fehlt und die deswegen in seinen Augen unglaubwürdig sind. Mit beißender Kritik greift er damalige religiöse Autoritäten, die Schriftgelehrten, an. Sie lieben es, in langen Talaren herumzulaufen, das Ansehen bei den Menschen zu genießen („Hochwürden“ zu sein), in der Synagoge ganz selbstverständlich die ersten Plätze zu haben und bei jedem Festmahl die Ehrenplätze. Sie tun, als ob sie sehr fromm sind, wollen deswegen geehrt werden, aber gleichzeitig sind sie Betrüger, die schutzlose Witwen um ihren Besitz bringen. Ihnen wird ein scharfes Gericht angesagt. Ihre Gottesliebe ist unglaubwürdig, weil ihre aufrichtige Liebe zu ihren Mitmenschen fehlt.

Gerade die Witwen werden, sowohl in der ersten Lesung aus dem AT als auch im Evangelium als Beispiel für echte Frömmigkeit genommen. Witwen waren ja in der damaligen Gesellschaft meist sozial nicht abgesichert, sondern mussten buchstäblich von der Hand in den Mund leben. Die alttestamentliche Lesung erzählt, dass eine Witwe, selbst in Hungernot, den letzten Rest ihres kleinen Vorrats mit dem Propheten Elija teilt. Und Jesus sieht einer Witwe zu, die ihr letztes Scherflein opfert.

Die Witwe von Sarepta in AT muss um ihr Leben bangen und hat trotzdem ein offenes Herz für einen, der im Grunde keine größeren Sorge hat außer der, dass er müde und hungrig ist. Mit ihm teilt diese Witwe das Letzte, was sie hat. Sie teilt nicht etwas, sie teilt alles. Aber: „Ihr Mehltopf wurde nicht leer und das Öl im Krug versiegte nicht.“ Ähnlich die Witwe im Tempel. Sie gibt alles, was sie hat - sie gibt sich selbst.

Reiche spenden mit großer Geste ansehnliche Summen – die beiden armen Frauen geben buchstäblich ihr Letztes her. Sie machen kein großes Aufheben aus ihrer Spende. Ein bekannter Politiker oder ein Bankvorstand überreicht einen großgedruckten Scheck – für einen guten Zweck. Die Summe ist, in Vergleich zu ihrem Besitz, bescheiden. Aber das Ganze steht am anderen Tag mit Bild und Unterschrift in der Zeitung. Tu Gutes und rede darüber ist ihre Devise.

Die kleine unbedeutende Frau, wirft ihre paar Cents in den Opferkasten. Man könnte über ihre hilflose Geste fast mit einem müden Lächeln hinweggehen. Was sind schon diese paar Cents? Was kann man damit schon bewirken? Was kommt bei dem, was sie tut, schon Großes heraus?

Sein Scherflein beitragen, sagen wir. Aber dieses Scherflein ist alles, was diese Witwe hat - es ist ihr Tagesunterhalt. Sie wird an diesem Tag nichts mehr zu essen haben. Sie gibt einen Tag ihres Lebens. Jesus sagt: Die arme Witwe hat mehr in den Opferkasten geworfen als alle anderen zusammen. Sie hat sich selbst gegeben.

Jesus denkt anders. Was diese Frau tut, ist in seinen Augen unendlich wichtig. Was bei ihm und vor Gott zählt, ist die ganz selbst-verständliche alltägliche Güte, sind die vielen unbeachteten Gesten und Taten der Liebe, wie sie jeden Tag tausendfach auf unserer Erde geschehen und in keiner Zeitung stehen. Und so soll es auch zwischen Gott und uns sein. Ich soll Gott nicht etwas von mir zur Verfügung stellen, sondern mich selbst, meine ganze Persönlichkeit.

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