CHRISTTAG 2015

Johannesevangelium (Joh 1,1-18)

Ich kann es mir so vorstellen, dass der Evangelist Johannes sich gedacht hat: „Ich möchte ein neues Evangelium schreiben, anders als die Evangelien meiner Vorgänger. Matthäus und Lukas haben eine Art Vorwort geschrieben: Eine legendär-märchenhafte Geschichte mit alttestamentlichen Motiven, um so den göttlichen Ursprung von Jesus von Nazareth deutlich zu machen. Ich möchte einen anderen Prolog, ein anderes Vorwort schreiben, mit der gleichen Absicht, aber in der Form eines Gedichtes, einer Hymne. Hier sollen - in komprimierter Form - die wichtigsten Aussagen über Jesus formuliert werden, die ich dann in meinem Evangelium verdeutlichen und vertiefen werde.“ Das ist das berühmte Vorwort, der Prolog des Johannesevangeliums geworden, den wir gerade gehört haben. Hier geht es um wesentliche, tiefe Glaubensaussagen über Jesus.

Was ist das Eigene von Jesus? Was macht seine große Bedeutung aus? Warum ist er so wichtig für uns? Johannes meint: Jesus kann man das „Wort“ nennen, dass Gott gesprochen hat. In Jesus hat Gott sich geäußert, sich mitgeteilt. In Jesus ist das Wort von Gott „Fleisch“ geworden, „Fleisch und Blut“.

Das ist der Unterschied zu dem islamischen Glauben: Hier ist Gottes Wort nicht „Fleisch“, sondern „Buch“ geworden. Der Islam glaubt, Gott hat - durch den Engel Gabriel - wortwörtlich diktiert, was Mohammed aufschreiben soll. Das Wichtigste ist also das Buch, das man buchstäblich annehmen soll, ohne zu hinterfragen. Man soll nicht an Mohammed glauben. Nur der Koran sagt das Richtige über Gott.

Für Christen ist Gottes Wort nicht Buch, sondern „Fleisch“, Mensch geworden. Nicht das Buch, die Bibel, ist das Wichtigste, sondern die Person von Jesus. Jesus war so von Gottes Wort durchdrungen, dass er diese Selbstmitteilung Gottes verkörperte und in seinen Worten und Taten weitergab. In Jesus hat Gott also gesagt, was wir über ihn wissen sollen und wie echtes Menschsein in seinen Augen ausschauen soll. In Jesus hat Gott zu uns gesprochen. Er hat uns angesprochen.

Im Christentum geht es also darum, das, was Jesus gesagt und getan hat, zu verstehen, um so zu entdecken, wer Gott wirklich ist und was Gott uns sagen will. Durch seine ganze Lebensweise hat Jesus das deutlich gemacht.

So ist Jesus für uns das klärende Wort über Gott. Deswegen ist er wie ein Licht, das in der Finsternis unserer Welt, in unsere Verlorenheit und Orientierungslosigkeit hineinscheint. Ohne ihn tappen wir im Dunkeln. „Kein Mensch hat jemals Gott gesehen. Jesus hat uns gesagt und gezeigt, wer Gott ist.“

Aber das ist nun die ganze Tragik, das ganze tragische Schicksal von Jesus: Die Menschen wollen ihn nicht hören, sie hören einfach nicht zu. Indem sie Jesus nicht ernst nehmen, stellen sie sich auch taub vor Gott. Sie verweigern Jesus den Zugang zu ihrem Leben. Für ihn ist kein Platz in der Herberge ihres Lebens. „Er kam in die Welt, aber die Welt nahm ihn nicht auf.“ Johannes ist hier ganz konkret und ganz aktuell. Es ist eine Tatsache, die wir jeden Tag spüren und feststellen können.

„Alle aber, die ihn aufnahmen und an ihn glaubten, machte er fähig, Kinder Gottes zu werden.“ Wer Jesus als Wort Gottes annimmt, an ihn glaubt, gehört zum Volk, zur Familie Gottes, zu seinen Kindern. Er gehört zu Gott, er genießt Gottes liebende Zuneigung.

Das ist nun eigentlich Weihnachten: Jesus in mein Leben aufnehmen, ihm in meinem Leben Herberge geben, zulassen, dass er in mir „geboren wird“. Wo das geschieht, geschieht Weihnachten. Das ist die weihnachtliche Botschaft des Prologes des Johannesevangeliums.

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